Der Schein trügt

Aus aktuellem Anlass und eigenen, kürzlich gemachten Erfahrungen möchte ich heute über ein wichtiges Thema sprechen. Es geht um „Körperideale„. Im Sport, aber auch im Alltag. Gesellschaftlich betrachtet, aber auch persönlich verursacht. Die Thematik ist nicht neu, für mich schon gar nicht. Seit ich denken kann bin ich entweder unzufrieden mit meinem Körper oder vergleiche ihn mit anderen. Und seit ich denken kann, versuche ich einem Ideal nachzueifern, das ich aufgrund meiner körperlichen Voraussetzungen kaum, oder nur durch viel Verzicht und wenig Genuss erreichen kann. Einem Ideal, das mir von der Gesellschaft und (Sozialen)-Medien vor die Nase gehalten wird und dem ich nicht entkomme.

Mit einer sehr sportlichen und sehr dünnen Mama bin ich schon früh mit der Thematik des sportlichen Schönheitsideals in Berührung gekommen. Ich war nie so dünn und sehnig wie meine Mama, egal, wie viel Sport ich auch gemacht- und wie wenig ich auch gegessen habe. Das hat mich sehr lange sehr unglücklich gemacht: Die definierten Bauchmuskeln blieben aus und meine Arme zeugen auch nicht gerade von muskulöser Definition. Ein Grund, weswegen ich nur selten in ärmellosen Tops anzutreffen bin und warum ich ich es hasse, wenn mir jemand in die Oberarme zwickt. (Warum zum Teufel macht man das, by the way.) Erst spät konnte ich meine körperlichen Voraussetzungen akzeptieren, ehrlich gesagt hat dieser Prozess sogar mehrere Jahre gedauert und bis heute seine Spuren hinterlassen. Zwei wesentliche Veränderungen in meinem Leben waren dafür nötig, dass ich angefangen habe mich und vor allem meinen Körper lieben zu lernen.

Zum einen war das mein erster fester Freund. Robert hat mich geliebt, so, wie ich war und mir damit eine bedingungslose Bestätigung geschenkt. Ich habe mich schön- und vor allem wohl in meiner eigenen Haut gefühlt. Zum anderen haben mir meine Liebe zum Laufen und der damit einhergegangene Erfolg im Sport, Selbstvertrauen verliehen. Ich durfte einige Male als erste Frau über Ziellinien rennen und das trotz einer Statur, die bestimmt nicht jede:r als Läufer-Figur bezeichnet. Ich bin erfolgreich in meinem Sport, auch ohne einem Magerwahn verfallen zu sein und trotzdem scheint das auf den ersten Blick nicht zu reichen. Mir nicht und der Erwartungshaltung anderer auch nicht. Bis heute ist eine Unzufriedenheit geblieben, die immer wieder und zu den verschiedensten Momenten aufkommt. (Zum Beispiel dann, wenn mir jemand in die Oberarme zwickt.)

Mein Körper leistet jeden Tag aufs Neue großartige Arbeit und eigentlich sollte ich dafür dankbar sein. Ich habe immer Energie, meine Beine tragen mich kilometerweit über sämtliche Gipfel und Distanzen, ich bin Läuferin und gut in dem, was ich mache. Ich bin schlicht und einfach kerngesund und sehe auch so aus. Trotzdem erwische ich mich dabei, wie ich andere Frauen um ihre hervorstehenden Rippen oder Schlüsselbeinknochen beneide, wie ich meinen Bauch einziehe oder mich kritisch im Spiegel betrachte und meine Arme wegen dem ein oder anderen Pölsterchen hässlich finde. Vor allem aber, erwische ich andere dabei, wie sie meine sportliche Leistungsfähigkeit in Frage stellen, weil ich nicht in deren sportliches Körperbild passe. Bei einem Wettkampf vor zwei Wochen wurde ich mit genau diesen Meinungen konfrontiert. Nicht unbedingt ein schönes Gefühl, aber von vorne.

 

„Ich glaube da muss ich meine Meinung bezüglich deiner Leistung noch mal revidieren.“

 

Vor zwei Wochen bin ich mein erstes Etappenrennen gelaufen: die Salomon 4Trails. Vier Tage, vier Etappen, vier Trails, viel Aufregung. Ich hatte in den Monaten davor gut und kontinuierlich trainiert und sämtliche Themen bedacht. Verpflegung, Begleitung, Regeneration, Anreise, Unterkunft, Abreise & Co. Bleiben wir doch direkt bei dem Thema Verpflegung. Bei einem Etappenrennen geht es darum, mehrere Tage hintereinander alles zu geben. Das kann der Körper aber nur, wenn er Energie in Form von Nahrung bekommt. Eine simple Rechnung: Nahrung -> Energie -> Leistung -> Sportlicher Erfolg. Schon hier ging mein innerer Dialog los, denn an den beiden Tagen vor dem Wettkampf war Carboloading angesagt. Nicht gerade meine liebste Disziplin. Ich liebe es zu essen, aber auf Teufel komm raus Kalorien in mich reinzustopfen, gehört nicht zu meinen Stärken. Da saß ich nun also, einen Tag vor der Abfahrt nach Imst und sollte/durfte/musste so viel essen, wie nur möglich. Mein Hirn ratterte unaufhörlich und wägte immer wieder ab. „Stopfe ich jetzt wirklich diese Menge an Essen in mich rein und riskiere ein oder zwei zusätzliche Kilos oder spare ich an den Kalorien und riskiere einen Leistungseinbruch?“ Ich entschied mich für die zusätzlichen Kilos (die es natürlich nicht gab) und für das Carboloading. Aber schon allein wegen dieser Auseinandersetzung mit mir selbst wird klar, dass das Thema Ernährung für mich keineswegs unbedacht abläuft. Auch heute nicht, obwohl ich so viel darüber weiß. Im Grunde genommen brauche ich also gar nicht schlau daherreden, mache ich aber trotzdem.

Mit aufgetankten Kalorienspeichern ging es dann also am 6. Juli in Richtung Tirol. Das hier soll kein Blogeintrag über den Wettkampf an sich werden, deswegen lasse ich sämtliche Informationen außen vor. Eine ist jedoch wichtig, besonders in dem Zusammenhang der Thematik „Körperideale“. Ich erinnere mich noch genau daran, wie sehr mich der Startbereich und die Registrierung für den Wettkampf gestresst haben. Es war die Angst vor der ersten Konfrontation mit meinen Konkurrentinnen. Ich wollte mir diesen ersten Vergleich ersparen, diese Blicke, dieses Abschätzen, diese Verunsicherung wegen Oberflächlichkeiten und ersten Eindrücken. Man kennt das ja: Da steht man voller Vorfreude und Aufregung im Startbereich und lässt den Blick über die anderen Personen wandern. Ganz nach dem Motto „Wer könnte zur Bedrohung werden“. Da gibt es Anwesende, die sofort ins Auge springen und die sofort einen inneren Alarm auslösen. Dreimal dürft ihr raten, welchem Körperbau diese Menschen meistens entsprechen? Richtig: Dünn, sportlich, sehnig, knochig, definiert. Dieser Typ Mensch wird von mir sofort als potentielle Gefahrenquelle identifiziert und genauestens begutachtet. Ich selbst bin also keinen Deut besser als diejenigen, die mich als tendenziell ungefährlich einordnen.

Genau das ist nun also passiert und zwar kurz vor dem Startschuss zur ersten Etappe. Ich war relativ zuversichtlich und vertraute in mein erfolgreiches Training der vergangenen Monate. Mein Laufrucksack war gepackt, meine Verpflegung bisher im Magen geblieben und mein morgendliches Geschäft verrichtet. Alles so weit nach Plan. Kurz bevor es in den Startbereich ging unterhielt ich mich noch mit einem Kumpel. In diesem Gespräch stellte sich heraus, dass er wenig bis gar nicht auf mich als Siegerin setzte. Zwar ging es bei seinen Zweifeln an meiner Performance weniger um meine physischen Voraussetzungen, aber trotzdem verletzte mich seine Meinung. Ich war nur einmal mit ihm laufen gewesen, er hatte also so gut wie keine Ahnung von meiner läuferischen Performance und trotzdem stellte er (mindestens eine) Läuferin über mich. Zum Glück war ich an diesem Tag optimistisch gestimmt, sonst hätten mich diese Zweifel ziemlich verunsichert. Auch die Veranstalter selbst rechneten nicht mit mir im Topfeld, so geht man doch gerne an eine Startlinie. Wie gesagt, das hier ist kein Wettkampf-Bericht und deswegen fasse ich mich kurz. Ich habe die erste Etappe gewonnen und zwar mit Abstand. Hätte keiner erwartet von einer etwas kräftigeren Läuferin, hätte keiner erwartet von jemandem, der es wagt auch mal gestellte Bilder zu posten und nicht immer 100% on edge zu sein.

Im Ziel kam dann besagter Kumpel zu mir und war offensichtlich überrascht von meinem Lauf. Ich hatte es ihm gezeigt und allein das wäre schon Erfolg genug gewesen. Ich hatte ihm gezeigt, dass ich fit bin und dass man verdammt noch mal mit mir rechnen muss, auch wenn ich keine definierten Arme und kein Sixpack vorzuweisen habe. Die Favoritin hatte ich mit mehr als 10 Minuten abgehängt und auf einmal war sie da, die Aufmerksamkeit. Auf einmal hatte man mich auf dem Schirm, zumindest mehr als noch vor einem Tag.

Offensichtlich reichte dieser eine Sieg nicht. Ich wusste was viele dachten. Nämlich, dass ich meine Körner am ersten Tag verschossen hatte und mein Vorsprung auf die anderen Mädls nicht auf meine eigene Leistung zurückzuführen war. Viel mehr wurde auf einen schlechten Tag der Favoritinnen getippt. Kann ja nicht sein, dass die dahergelaufene Terrex Athletin aus München, von der man beinahe ein Jahr lang nichts gehört hat, auf einmal vorne mitläuft. Bestimmt wendet sich da noch das Blatt, so die Meinung einiger: die Schreiber wird bestimmt noch eingehen. Da kämpft man von Startschuss bis Zieleinlauf, ist körperlich wie mental am Limit, gewinnt die Etappe und dann wird besagter Erfolg auf die Schwäche der anderen und nicht auf die eigene Stärke zurückgeführt. Bitter.

Dieser Zweifel an meiner sportlichen Leistung zog sich bis zum vierten Tag durch. Obwohl ich jede Etappe für mich entscheiden konnte und die Salomon 4Trails gewann, blieben die kritischen Meinungen. Ich weiß, dass das nicht nur auf meine körperliche Erscheinung zurückzuführen ist und dass einige einfach nicht damit gerechnet hatten mich auf Platz 1 zu sehen. Trotzdem ist der erste Eindruck oft ein falscher und nicht weniger möchte ich mit diesem Eintrag betonen. Der Schein trügt.

Ich bemerke, dass die sportliche Leistung noch viel zu stark an der körperlichen Erscheinung gemessen wird. Dünne Sportler:innen werden von Anfang an in den Kreis der Favoriten aufgenommen, die anderen müssen sich erst einmal beweisen. Das Problem ist dabei, dass auch die Sportler:innen selbst diese Meinung teilen, oder zumindest annehmen. Bestimmt nicht alle, aber in meinem Fall trifft das definitiv zu.

Ich bin nicht zufrieden mit meinem Körper, obwohl er mich noch nicht einmal im Stich gelassen hat. Wenn ich zu viel Haut zeigen muss fühle ich mich meistens unwohl, weil ich eben keine definierten Bauchmuskeln habe. Wenn mir jemand in meine Oberarme zwickt (Leute ehrlich, lasst das sein), dann zieht sich mein Magen zusammen. Wenn ich Fotos von mir in Ganzkörperaufnahmen sehe, bin ich auf der Stelle unzufrieden und wenn ich dünnere Läufer:innen neben mir sehe, stelle ich mich und meine Leistung meistens hinten an. Umso wichtiger ist es auf diese Gedanken aufmerksam zu machen und umso wichtiger ist es, dass dieses einseitige Bild der Sportlerin aufgehoben wird. Umso wichtiger ist es, dass jungen Athlet:innen ein anderes Selbstbild vermittelt wird und sie ihre eigene Leistungsfähigkeit nicht rein an ihrer körperlichen Erscheinung messen.

Es kann nicht sein, dass ich einen Straßenmarathon laufe und aufgrund meiner Figur als Staffelläuferin eingeordnet werde (mit der Figur kann man ja gar nicht so schnell laufen). Es kann nicht sein, dass mir ein ungläubiger Blick zugeworfen wird, wenn ich erzähle, dass ich Läuferin bin. Es kann nicht sein, dass bei einem Wettkampf von Anfang an nicht mit mir als Siegerin gerechnet wird, weil ich mehr wiege als andere. Es kann nicht sein, dass ich nach einem Ernährungsplan gefragt werde, wenn ich Pizza oder Nudeln esse. Es kann nicht sein, dass aufgrund meiner läuferischen Tätigkeit ein Sixpack oder ein muskulöser Körper vorausgesetzt wird. Es kann nicht sein, dass ich aufgrund gesellschaftlicher Ideale anfange mich und meine Leistung in Frage zu stellen. Es kann nicht sein, dass ich unzufrieden mit mir bin. Es kann nicht sein, dass ich mich immer wieder aufs Neue beweisen muss, weil man mir weniger zutraut als ich kann.  

Zur Zeit geht ein ziemlicher Ruck durch die Trail Community. Bekannte Läuferinnen wie Emelie Forsberg, Meg Mackenzie, Heidi Davies, Lucy Bartholomew und viele andere stehen auf und machen auf ihre persönlichen Erfahrungen diesbezüglich aufmerksam. Das ist unglaublich wichtig. Gerade, weil wir heutzutage in einer digitalen Welt leben in welcher alles mehr Schein als Sein ist. Gerade, weil junge Sportler:innen viel zu viel Druck (sowohl bezüglich Leistung als auch Optik) ausgesetzt sind und einem Körperideal hinterhereifern, das nicht selten ungesund ist. Gerade, weil man mit diesen Gedanken niemals alleine ist.

Ich bin unglaublich froh, dass ich bei den 4Trails an den Start gegangen bin. Nicht nur, weil ich gewonnen habe. Vielmehr habe ich jetzt den Mut meinen Mund aufzumachen, weil ich meine eigene Leistung kenne und weiß, was ich kann. Ich habe mich in die Köpfe der Menschen gelaufen und teils starre Meinungen vom Gegenteil überzeugen können. Ich hatte wunderschöne vier Tage in bester Gesellschaft und war jeden einzelnen Tag davon unglaublich stolz auf mich und meine Leistung. Ich war von Anfang an zuversichtlich und habe trotz der kritischen Meinungen an mich geglaubt. Ich bin eine starke Frau und begreife immer mehr, dass alles gut ist, so, wie es ist. Dass ich gut bin, so, wie ich bin. Dass mein Körper schön ist, so, wie er ist. Lasst uns gemeinsam daran arbeiten, dass gesellschaftliche Ideale den Druck von uns nehmen. Ich bin mir sicher, dass alle was davon haben werden.