08 Mai Zerrissen
Ich habe mich nie als reine Läuferin definiert. Auf die Frage nach meinem Beruf antworte ich deshalb stets: „Ich bin professionelle Läuferin und außerdem Journalistin.“ Es war und ist mir immer wichtig das zu betonen. Nicht nur, weil es so ist, sondern auch aus dem Gefühl heraus, Laufen allein sei nicht ausreichend in einer so leistungsorientierten Gesellschaft, wie der unseren. Obgleich sich wohl kein anderer Lebensbereich derart an Leistung orientiert, wie der Leistungssport selbst. Welch Paradox.
Nichts ist so leistungsorientiert, wie Leistungssport
Wenn man „Eigenschaften einer Leistungssportlerin*“ googelt ist das Suchergebnis nicht sehr überraschend. Worte wie Disziplin, Motivation, mentale Belastbarkeit, Fleiß, Organisationstalent und Willenskraft werden angezeigt. Ich erkenne mich in dieser Auflistung wieder und würde sie folgendermaßen ergänzen: Egoismus, Perfektionismus, Widerspenstigkeit, Suchtaffinität, Willensstärke und gesegnet mit der Akzeptanz, im Leben Abstriche machen zu müssen. Auf Kosten des Genusses und versehen mit der Einsicht, jeden Tag aufs Neue gegen den inneren Schweinehund anzukämpfen. Ja, Leistungssportler sind in gewisser Hinsicht einzigartig. Aber zu welchem Preis?
Diese Frage stelle ich mir in letzter Zeit sehr häufig. Die Frage, wie weit bin ich bereit zu gehen für ein erfolgreiches Leben als Läuferin und was setze ich dafür aufs Spiel? Oder anders gefragt, was bedeutet es, wenn sich meine Prioritäten verschieben, und reicht sportlicher Erfolg für ein erfolgreiches Leben als solches aus?
„Ich weiß um mein privilegiertes Leben, ich habe es mir hart erarbeitet.“
Seit mehr als vier Jahren laufe ich nun schon als Trailrunnerin für das adidas TERREX Team. Ich habe mir über diese Zeit viel erarbeitet, ich werde gesponsert und auf meinem Weg unterstützt, habe einen tollen Trainer und ein Team um mich herum, welches mir wie eine zweite Familie ist. Ich führe ein privilegiertes Leben, reise oft und viel und verdiene mit dem Laufen einen Teil meines Einkommens. Manch einer würde das wohl als Paradies bezeichnen. Ich teile diese Ansicht.
Im vergangenen Jahr hatte ich meine bisher erfolgreichste Saison. Ich konnte mich auf internationaler Bühne beweisen, lief bei mehreren Rennen nicht nur in die Top 3 Platzierung, sondern holte mir den Sieg. Ich war frei wie ein Vogel, legte mein ganzes Leben nach dem Laufen aus und wusste genau, was ich wollte. Ich wollte zeigen, was in mir steckt und ich hatte das Gefühl, endlich wahrgenommen zu werden. Als Sportlerin, aber auch als starke Frau, die bereit ist, alles zu investieren. Ich definierte mich über meine Leistung.
Ich bin gerne die Starke
Trotz meines Höhenfluges im vergangenen Jahr erlebte ich immer wieder kurze Phasen des Zweifels. Ich erwischte mich des Öfteren dabei, die Sinnhaftigkeit des Laufens in Frage zu stellen und war froh um mein zweites Standbein als Publizistin, Journalistin, Kolumnistin. Es war mir wichtig, nicht nur meine Beine, sondern auch meinen Kopf zu benutzen und ich verstand mich immer öfter als eine authentische Stimme im Trailrunning, die gerne mal auf den Tisch haut und ihre Meinung kundtut. Das ist bis heute so und diese Seite in mir nimmt seit geraumer Zeit zu. Es ist weniger die Suche nach Erfolgen als die nach meiner Rolle, die ich bewusst, oder unbewusst, einnehme.
Erst neulich habe ich mich mit einer Freundin darüber unterhalten, dass uns unser Leben als Sportlerinnen nicht nur läuferisch weitergebracht hat. Vor allem haben wir uns als Menschen weiterentwickelt. Wir haben Erfolge erlebt, aber auch Niederlagen einstecken müssen. Wir wissen, wie Verzicht aussieht und erleben gleichzeitig ein Leben aus dem Bilderbuch. Wir wachsen an all diesen Dingen und verändern uns mit ihnen. Diese Veränderung anzunehmen ist nicht immer einfach, aber wichtig und sie beschreibt die vorhin angesprochene Prioritätenverschiebung.
„Wir haben die Möglichkeit, Menschen mit unserer Leistung zu inspirieren und das geht weit über den Erfolg beim Laufen hinaus. Das schaffen wir mit unserer Persönlichkeit, kombiniert mit dem läuferischen Erfolg. Das bedeutet sehr viel.“
Ein Balanceakt, der Kraft kostet
Ich balanciere täglich zwischen meinen beiden Persönlichkeiten hin und her und das funktionierte gut. Bis jetzt. Denn auch ich begreife allmählich, dass es mich zu viel Kraft kostet, beide Seiten in mir zu 100% zufriedenzustellen. Da ist die Athletin, die abenteuerlustig in die Zukunft sieht, die Hummeln im Hintern hat und herausfinden möchte, wohin sie ihr Leben als Läuferin führen wird. Und da ist die Journalistin, die kreative Introvertierte, die sich danach sehnt, anzukommen. Es fühlt sich wie eine ständige Zerrissenheit an, die tief in mir sitzt und mir Fragen stellt, die ich nicht hören will.
Ich halte mich für stark und in manchen Zusammenhängen unzerstörbar. Ich war mir lange Zeit sicher, mit meiner Disziplin und meiner mir innewohnenden Energie, sämtlichen Herausforderungen des Lebens erfolgreich entgegentreten zu können. Noch entschlossener war ich darin, dass es ein „das wird mir zu viel“ nicht gibt. Nicht für mich, die Perfektionistin, das Organisationstalent, die Macherin. Ich schaffe schließlich immer alles, bekomme das Training, das Schreiben, die Shootings, Familie und Freunde und Zeit für mich unter einen Hut und packe meinen Koffer gerne mehrmals im Monat. Das ist schließlich Teil meines Jobs. Das Reisen, die Wettkämpfe, die Höhen und Tiefen, das unterwegs sein, die Getriebenheit.
Ich möchte mich nicht beschweren, ganz im Gegenteil. Denn wenn ich eines aus den vergangenen Jahren gelernt habe, dann dass das Leben eben passiert und dass es Dinge gibt, die selbst ich, als selbst ernannter Kontrollfreak, nicht steuern kann. Also übe ich mich darin, Vertrauen in das zu haben, was kommt. Was und wer auch immer das ist.
* Bewusste Vermeidung des generischen Maskulinums