Ein Blick über den Tellerrand

Willkommen in Mother City

Seit langem trage ich eine Faszination für den afrikanischen Kontinent in mir, ohne jemals zuvor dort gewesen zu sein. Wenn ich an Afrika denke habe ich Musik im Kopf. Tanz und Tradition, Kultur, Fremde, den Duft von frischem Kaffee, bunte Farben, Wildnis und ein Lebensgefühl, das wir Europäer nicht kennen. Medial aufgebaute Bilder, keine Erfahrungswerte. Vielleicht war es diese naive Vorstellung eines quirlig fröhlichen Afrikas, die mich in Kapstadt, konfrontiert mit der Realität, umgehauen hat. Meine Reise nach Südafrika begann, wie Reisen von mir immer beginnen. Besorgt, verkopft und gestresst. Alles erschien so groß und so unvorstellbar weit weg. Ein elfstündiger Flug wartete auf mich. Durch die Nacht. Ein Flug, der mich so weit weg von zu Hause trug, wie nur irgend möglich. Mehr als zehn Jahre war es her, dass ich mich über die heimeligen Grenzen Europas gewagt hatte. In solchen Momenten stelle ich immer wieder fest, dass ich weit entfernt von der Abenteuerin bin, die ich tief in meinem Herzen gerne wäre. Mutig, weltoffen, spontan. So ein bisschen wie Pippi Langstrumpf, immer einen frechen Spruch auf den Lippen. Ich bin wohl in vielerlei Hinsicht genau das Gegenteil. Introvertiert, gewohnheitsliebend, spießig. Letzteres mal mehr, mal weniger ausgeprägt. Und nun saß ich also drei Stunden vor Abflug am Flughafen München und versuchte, ruhig zu bleiben.

„Ich bemerke, dass mich mein Aufenthalt in Kapstadt sowohl mit Glück erfüllt als auch ängstigt. Der Ozean lockt mich, die Wellen und der Duft unbekannter Natur berühren mein Herz.“

Ich verbrachte den Flug eingeklemmt zwischen zwei wohl genährten, schnarchenden Herren in der mittleren Reihe und machte kein Auge zu. Umso mehr überraschte es mich, dass ich nach der Landung wie die Ruhe selbst mein Gepäck holte und sich keine Aufregung breitmachte. Ein Fahrer wartete auf Mr. Kim Schreiber und machte große Augen, als entgegen seiner Vorstellungen eine junge Frau vor ihm stand. Nur ein paar Minuten später saß ich in einem Auto und sah Südafrikas erste Eindrücke an mir vorbeiziehen. Ich war in Mother City angekommen. Ein Township tauchte auf, kaum dass wir den Flughafen hinter uns ließen. Ein riesiger Flickenteppich aus Wellblechhütten, Satellitenschüsseln und umherstreifenden Menschen auf ihrem Weg zur Arbeit. Die Armut, die sich jenseits der Scheibe vor mir auftat bedrückte mich. Das war sie also, jene Konfrontation mit der Lücke zwischen Arm und Reich, vor der mich einige im Vorhinein gewarnt hatten. Als ich meinen Blick kurz von dieser mir unbekannten Welt löste, sah ich, dass mein Fahrer mich beobachtete. Vielleicht hätte er gerne mehr über die Gedanken des Mr. Kim Schreiber erfahren, aber wir schwiegen.

Eine Tür in die Vergangenheit

Als Macy und Robbie mir die Tür öffneten fiel mir ein großer Stein vom Herzen. Ich umarmte beide feste und freute mich riesig, sie zu sehen. Nach der langen Anreise und der Anspannung war ich froh endlich angekommen zu sein. Unser Haus war wunderschön und der Kontrast zu
dem Township überwältigend. Robbie und Macy ließen mich erst einmal ankommen und drückten mir einen Kaffee in die Hand. Sie kennen die Mittel und Wege eine angespannte Kimi bei Laune zu halten. Ich betrat die Terrasse und sah den Lions Head und das Meer vor mir liegen. Die Natur war wunderschön, es reichte ein Blick, um das zu erkennen. Wunderschön und mir völlig fremd.

In den ersten Tagen in Südafrika war ich überwältigt von den Eindrücken und fühlte mich nicht wohl. Ich stellte mit Schrecken fest, dass ich Vorurteile hatte. Jede Person mit dunkler Hautfarbe steckte ich im ersten Moment in eine Schublade, und schämte mich dafür. Ich ärgerte mich darüber, dass ich augenblicklich von dem Schlimmsten ausging und meinem Gegenüber ein kriminelles Verhalten zutraute, auch wegen der Hautfarbe. Und ich schämte mich. Dafür, wie die Geschichte unübersehbare Spuren hinterlassen hatte und die schwarze Bevölkerung noch immer den Weißen untergeordnet schien. Es war, als hätte man eine Tür in die Vergangenheit aufgestoßen. Wunderschöne Häuser zierten den gepflegten Vorort „Camps Bay“, die Gärten und Straßen lagen sauber da und jedes Haus hatte einen Pool. Nur bei genauerem Hinsehen fielen die Sicherheitsvorkehrungen auf, welche der Unantastbarkeit der Idylle Risse verliehen. Die Elektrozäune, bellende Hunde hinter den Gittern oder das Häuschen des Wachmanns am Ende der Straße. Die Reichen wurden geschützt vor dem schwarzen Pöbel, so zumindest kam es mir vor. Niemals zuvor war ich so direkt mit einer solch offensichtlichen Diskrepanz zwischen arm und reich konfrontiert worden und ich spürte eine Distanz, die ich gerne umgangen wäre, jedoch nicht wusste, wie.

Die zwei Seiten Kapstadts

Auch über meine Angst davor allein einkaufen zu gehen, oder bedenkenlos in der Nachbarschaft zu spazieren, ärgerte ich mich. Kein Training absolvierte ich ohne Begleitung, obwohl wir uns in einer sicheren Gegend befanden. Ich brauchte eine Woche, bis ich mich einigermaßen sorglos bewegen- und meine Umgebung ohne Bedenken wahrnehmen konnte. Doch mit jedem neuen Tag in Südafrika liebte ich es mehr. Meine anfängliche Unsicherheit machte meiner Neugierde Platz und ich gewöhnte mich an die Sonne auf der Haut, auf die permanente Wachsamkeit, an den bunten Trubel, der mich umgab. Ich liebte die schönen Cafés und Märkte, das leckere Essen und die freundliche Mentalität. Daheim rannte ich getrieben und rastlos meinen alltäglichen Aufgaben hinterher. Hier lockte mich die Freiheit des Ozeans und der wilde Wind in den Palmenblättern und ich war dankbar, um all die Erfahrungen, die ich mitnehmen durfte.

„Ich möchte dieses Neuland erkunden, es erlaufen, mich darauf einlassen und es erfahren, aber meine Angst lähmt meine Neugier. Wie so oft. Mein verkopftes Ich übernimmt und ich werde zu einer besorgten jungen Frau, die sich in den Schatten ihrer selbst stellt.“

Die Tage vergingen wahnsinnig schnell und trotz all der Verlockungen Kapstadts ließen wir den Grund unseres Aufenthalts zu keiner Sekunde aus den Augen. Wir alle hatten einen Wettkampf vor uns, den Ultra-Trail Cape Town, kurz UTCT und wir waren nicht für touristische Erkundigungen früher angereist. Natürlich ging es vordergründig darum, die Trails und deren Beschaffenheit kennenzulernen, sich an das Klima zu gewöhnen und die Strecke abzulaufen. Es ging darum jeden Tag zu nutzen, jeden Stein und jedes Hindernis zu erfahren und den Körper auf das Kommende vorzubereiten. Wir wohnten zu acht zusammen. Wir trainierten, aßen und lebten unter einem Dach und je näher der Wettkampf rückte, desto akribischer wurde das jeweilige Verhalten.

Die Gewohnheiten der anderen tagtäglich mitzubekommen ist Fluch und Segen zugleich. Man versucht, dem eigenen Ablauf treu zu bleiben und hat doch ständig das Gefühl, im Vergleich hinterher zu hinken. Ich bemerkte, dass ich dieser Akribie und den Vergleichen müde wurde. Mit einer langen Saison in den Knochen sehnte ich mich physisch wie psychisch nach einer Pause. Ich wollte loslassen, den Leistungsdruck für eine Weile vergessen und Sport machen, weil ich es wollte, nicht weil ich es musste. Fordernde Einheiten wurden zur mentalen Herausforderung und kurz vor dem Wettkampf fing ich mir eine zähe Erkältung ein. Es war, als würde mein Körper rebellieren. Ich verstand ihn und versuchte zuzuhören, was in einem Haus voller Athletinnen und Athleten nicht sehr einfach ist. Wie soll man Ruhe und Erholung genießen, wenn alles um einen herum am Trainieren ist? Es war unmöglich. Ich gönnte mir nur sporadisch Ruhe, kurierte die Erkältung mehr schlecht als recht aus und stand am 25. November mit belegter Stimme an der Startlinie. Bereit, für den letzten Wettkampf der Saison 2022.


Dieses Mal kein Runners High

Ich hatte Angst vor dem Lauf, alles andere wäre gelogen. Da ich die Strecke zuvor abgelaufen war wusste ich, was mich erwartete. Ich kannte die technischen Herausforderungen, ich fürchtete die Hitze und ihre Tücken. Die Trails Südafrikas waren anspruchsvoller als alles, was ich zuvor gelaufen war. Felsiger, rauer und zugewachsen mit Pflanzen aller Art, unter denen sich die ein oder andere Schlange verstecken konnte. Ein wunderschönes Biest aus 55 Kilometern und 2700 Höhenmetern lag vor mir und trennte mich von meiner Off-Season. Zudem wollte ich nicht minder als den Sieg. Ein letztes Mal alles geben. Der selbstgemachte Druck war hoch, die Nerven angespannt, die Nase lief. Im Startbereich war viel los und während der Wind an den Tagen zuvor noch kräftig und zehrend gewesen war, wehte an diesem Wettkampftag nur eine leichte Brise. Wir waren bereit und um 7:00 Uhr ertönte der Startschuss.

Ich hatte gute Beine. Das wusste ich schon nach wenigen Minuten im Rennen. Ich fühlte mich gut und lief in meinem eigenen Rhythmus an die Spitze. Natürlich behielt ich die anderen schnellen Damen im Auge und auf den ersten fünf Kilometern blieben wir noch eng beisammen. Es war ein taktisches Herantasten, ein Herausfordern, ohne den Abstand zu groß werden zu lassen. Keine wollte zu früh in den Wettkampfmodus wechseln. Im ersten Anstieg hoch zum Suther Peak zog ich das Tempo schließlich an und behielt die Führung über den Großteil des Rennens bei mir. Ich weiß nicht an welchem Punkt des Wettkampfes ich
realisierte, dass der Sieg greifbar war. Schon in Hout Bay, bei Kilometer 16 und bei der ersten Verpflegungsstation, hatte ich einen Abstand von 7 Minuten und fühlte mich gut. Zu gut. Ich lief an dem bereitgestellten Wasser vorbei, ließ meine Flasks halbleer und rannte weiter. Ich hetzte. Ein Fehler, den ich bis heute bitter bereue. Nach der Verpflegungsstation ging es in einer angenehmen Steigung zunächst eine Weile an der Straße entlang, bevor die Strecke auf die Trails hoch in Richtung Manganese Mines abbiegt. Bis hierhin fühlte sich das Laufen gut an. Bei Kilometer 20 bemerkte ich jedoch, dass die Leichtigkeit in einen Kampf umschlug. Jeder Schritt fiel mir schwer, ich flog nicht mehr und hatte das Gefühl einen steilen Anstieg emporzusprinten, obwohl ich in der Ebene lief. An diesem Punkt übernahm mein Dickschädel und trieb mich zum Weiterlaufen an, bloß nicht das Tempo drosseln. Natürlich sind Schmerzen während eines Wettkampfes völlig normal und die mentale Komponente unumgänglich. Aber das fühlte sich anders an. Ich spürte, dass ich strauchelte und dass mein Körper Alarm schlug. Ich spürte, dass da etwas passierte, was mir gar nicht gefiel.

Bei Kilometer 28 gab es endlich Verpflegung und ich füllte meine schon lange leer gewordenen Flasks mit Cola auf. Mich selbst überschüttete ich mit Wasser. Aber es war zu spät. Ich war dehydriert. Ich hatte zu lange nichts getrunken, der Fehler war passiert, er war im System und ich bekam den Mangel nicht mehr behoben. Jetzt war es ein Lauf gegen mich selbst. Bei Kilometer 32 wartete Bianca in der Verpflegungsstation auf mich. Sie sagte mir, dass ich unter den Top Ten overall lief und mit einem Abstand von 13 Minuten zur zweiten Dame führte. „You’re flying, Kimi“ rief sie mir hinterher. Ich aber spürte, dass meine Beine krampften. Ich spürte, dass mein Körper auf Anschlag lief und dass die nächsten zwanzig Kilometer nicht einfach werden würden. Aber ich wollte gewinnen, mehr als alles andere.

„You’re flying, Kimi“

Die nächsten zehn Kilometer lief ich in einem Zustand aus Wut, Angst und Stress. Ich möchte ehrlich sein, Spaß hatte ich keinen mehr. Ich hatte Schmerzen und war im Grunde nur damit beschäftigt, einen Schritt vor den nächsten zu setzen und irgendwie in Bewegung zu bleiben. Bei Kilometer 45 kam ich kaum mehr die Treppe zur letzten Verpflegung hoch. Ich sah Janosch dort auf mich warten, dessen Lächeln augenblicklich verschwand als er mein verzerrtes Gesicht bemerkte. Er wusste sofort, dass ich litt. Also feuerte er mich an. Was auch sonst. Er schrie mir entgegen, dass ich mit 17 Minuten führte und dass ein letzter steiler Anstieg wartete. Nur noch hoch zum Blockhouse. Ich kannte ihn, ich fürchtete ihn, ich lief los.

Sei stolz auf dich, Kimi

Ich lag auf dem Boden und hatte Schmerzen. Meine beiden Beine waren in Krämpfen verformt und so oft ich es auch versuchte, an Laufen war nicht zu denken. Die steilen Meter hoch zum Blockhouse waren zu viel gewesen und nun streikte mein ganzer Körper. Ich nahm eine Salztablette und wartete ab, was blieb mir auch übrig. Ich lag da und mein in all den Stunden erkämpfter Abstand zur Zweitplatzierten schmolz in der Sonne Kapstadts dahin. Es tat weh. Die Krämpfe, aber vor allem die Einsicht, dass ich gerade drauf und dran war meinen Sieg zu verlieren. Immer wieder versuchte ich es. Kaum hörten die Krämpfe auf lief ich weiter, um im nächsten Moment wieder schreiend auf dem Boden zu liegen. Dann wurde ich überholt. Erst von einer, dann von zwei Frauen. Allein darüber zu schreiben, weckt die Wut, die ich so lange versucht habe zu verdrängen. Nur der Gedanke über diese Minuten, in denen ich den beiden anderen dabei zusehen musste, wie sie mich überholten, während meine Beine in den Klammern der Krämpfe steckten, löst Stress in mir aus. Mir gingen viele Gedanken durch den Kopf, Vorwürfe, Ängste. Ich wusste genau, dass ich selbst für den Lauf der Dinge verantwortlich war. Ich wusste, dass ich meine Verpflegung vergeigt hatte und nun die Quittung dafür bekam. Ich wusste, dass ich meinem Körper im Grunde nichts vorwerfen konnte. Ich hatte zu viel genommen und zu wenig gegeben. Doch trotz alledem stand für mich fest, dass ich weiterlaufen würde. Egal, wie lange die Krämpfe auch angedauert hätten und an welcher Position ich am Ende ins Ziel gelaufen wäre. Jeder Platz wäre besser gewesen als ein DNF am Ende einer guten Saison und als die Salztablette nach einer gefühlten Ewigkeit endlich wirkte, rannte ich los.

Im Nachhinein betrachtet sollte ich wohl stolz auf mich sein. Ich sollte stolz darauf sein, dass ich mich nach zwanzig Minuten auf dem Boden liegend wieder zurückkämpfte, dass ich mir einen Kopf an Kopf-Sprint um den Sieg mit Landie Greyling lieferte, den ich nur wegen neuen Krämpfen um fünf Sekunden verlor. Ich sollte wohl stolz darauf sein, bei diesem internationalen Wettkampf als zweite Dame über die Ziellinie gelaufen zu sein und ich sollte stolz auf meine mentale Stärke sein, darauf, alles gegeben zu haben. Ich war nicht stolz, zumindest nicht sofort und irgendwie bis heute nicht. Ich saß im Ziel und als mein Team auf mich zu lief, mich lächelnd umarmte und mir zu meinem Lauf gratulierte, saß ich in einem Gefühlszustand aus Erleichterung und Enttäuschung auf dem Boden und stierte vor mich hin. Erleichterung, weil ich nach 6:30 Stunden endlich im Ziel war. Erleichterung, weil die Saison vorbei war, Enttäuschung wegen dem verpassten ersten Platz. Ich beobachtete Landie, die ihr Glück kaum fassen konnte und mir ging es genauso. Ich konnte ihr Glück kaum fassen.

Wie hatte das passieren können? Einen Lauf, den ich von Anfang an dominiert hatte als Zweite zu beenden? Wann war der Fehler passiert und warum war er passiert? Wie konnte ich, selbsternannter Kontrollfreak und Paradebeispiel für Struktur und Ordnung einen solchen Fehler machen? Nach beinahe vier Jahren als einigermaßen erfolgreiche Trailläuferin? Nein, ich war weder stolz noch zufrieden. Ich war stinkig und verspürte den Drang allen zu erklären, was wirklich passiert war. Dass ich lange geführt und nur wegen Krämpfen verloren hatte. Aber ist das nicht im Grunde egal? Am Ende zählt der ganze Lauf, nicht nur die ersten 45 Kilometer und Tatsache war, dass Landie vor mir im Ziel gewesen war. Punkt. Irgendwann klopfte mir mein Freund Martin Gemelli auf die Schulter und sagte: „Kimi, promise me to be proud! Ok?“ Mir lag ein aber auf den Lippen. Bockig schaute ich ihn an, dann nickte ich ihm ergeben zu und wusste, dass ich gerade den ganzen schönen Moment zerstörte und dass es gut war. Alles war gut.

„Landie konnte ihr Glück kaum fassen, und mir ging es genauso. Ich konnte ihr Glück kaum fassen.“


Vom Loslassen

Wir verbrachten den Rest des Wochenendes damit die anderen anzufeuern. Am späten Freitagnachmittag, nur wenige Stunden nach uns, starteten die 100 Meiler. Am Samstag die 100-Kilometer Läufer und am Sonntag rundete die 35 Kilometer Distanz den Event ab. Meine Teamkollegen anzufeuern und zu unterstützen, half mir sehr dabei, meinen Groll über meinen eigenen Wettkampf für eine Weile zu vergessen. Immer wieder kamen die Gedanken daran hoch und immer wieder verdrängte ich sie – genauso, wie ich meine noch immer laufende Nase verdrängte. (Letzteres übrigens bis heute.) Ich tanzte viel an diesem letzten Novemberwochenende, ich feierte alle Finisher und bei der Siegerehrung umarmte ich Landie, die zurecht auf Platz eins stand. Ich trank das ein oder andere Bierchen und ließ los. An meinem letzten Abend in Kapstadt gingen wir auf ein Konzert von Jeremy Loops in Kirstenbosch, ein wunderschöner Abend und der perfekte Abschluss meines Aufenthalts in Südafrika. Ich freute mich trotz allem sehr auf zuhause, nicht zuletzt wegen der Vorweihnachtszeit. Vor allem wollte ich Zeit für mich, ich wollte die Saison 2022 gebührend sacken- und hinter mir lassen.

In meiner Off-Season hatte ich viel Zeit über alles Erlebte nachzudenken. Darüber, warum ich trotz meiner Leistungen nur mein Scheitern sah, den verpassten Sieg. Über den Sommer in Chamonix, meinen Trainerwechsel, meinen Entschluss dem Trailrunning oberste Priorität in meiner anstehenden Jahresplanung zu geben. Mache Antworten habe ich gefunden, andere Fragen sind noch unbeantwortet. Auch heute, Wochen nach dem UTCT, kann ich mir selbst nicht verzeihen. Ich weiß, dass man irgendwann nach vorne schauen- und Niederlagen hinter sich lassen muss. Aber im Moment fällt mir das noch sehr schwer. Vielleicht liegt es daran, dass ich schon wieder in einer Erkältung festhänge und Angst davor habe, den Anschluss zu verpassen. Den Anschluss an die anderen, die ohne Unterbrechung trainieren können, während ich die verstopfte Nase aus Kapstadt Woche um Woche verschleppe. Dass dieser selbstgemachte Stress nicht gerade zur Genesung beiträgt, weiß ich selbst und dass das Humbug ist, sowieso. Ich muss mich wohl noch ein bisschen in Selbstmitleid suhlen. Im Mai geht es für einen Wettkampf zurück nach Kapstadt und ich hoffe bis dahin, sind Kopf und Herz befreit von alten Lasten und offen für die Faszination Südafrikas.