Was machst du so?

Wenn ich nach meinem Job gefragt werde, fällt mir die Antwort darauf sehr schwer. Ich habe das Gefühl, dass meine Tätigkeit nicht wirklich einen Mehrwert hat und oftmals kommt ebenjene Suche nach dem Sinn an meiner Arbeit dann hoch, wenn ich damit konfrontiert werde. So ist die Frage nach meinem Beruf gleichzeitig auch eine Konfrontation mit mir selbst: „Was machst du eigentlich (die ganze Zeit)?“ Zweimal laufen am Tag kann ja wohl kaum alles sein, oder? Eine immer gleiche Antwort auf die Frage nach meinem Job habe ich nicht. Mal bin ich Trailrunnerin, dann bin ich Trailrunnerin und außerdem freie Journalistin, manchmal entscheide ich mich für ein etwas wichtiger klingendes Leistungssportlerin und erst letztens bezeichnete ich mich als Freelancerin im Bereich Text und außerdem als Influencerin (ojemine) und Läuferin. Journalistin bin ich de facto schon mal keine. Ich habe einen Bachelor als ‚Kommunikationswissenschaftlerin‘ und einen Abschluss in Germanistik. Gerne hätte ich einen Master im Journalismus drangehängt, wurde aber leider nicht angenommen. Was im Nachhinein betrachtet, schon ganz richtig war. Leistungssportlerin? Influencerin? Podcasterin? Texterin? Ich bemerke, dass ich manchmal beinahe eifersüchtig auf Menschen aus meinem Umfeld reagiere, wenn ich mir deren Berufe anschaue. Sie alle können mit Klarheit auf die Frage nach der beruflichen Tätigkeit antworten und bei allen ist mehr oder weniger klar, dass sie einen geregelten Arbeitsalltag haben. Ihr Dasein ist akzeptiert und wird respektiert. Als überzeugte Hörerin des Podcast ‚Gemischtes Hack‘ blieb ein Satz von Felix Lobrecht aus einer der letzten Folgen in meinem Kopf hängen: „Wir haben komische Arbeitszeiten, wir haben frei, wenn wir freihaben. Es ist egal, was für ein Wochentag ist und gerade mit Kumpels, die einen normalen Job haben, ist es schwer, das zu synchronisieren.“ Sinngemäß.

Ich fühle das, was er sagt. Ich kenne dieses Gefühl, wenn ich am Wochenende und ganz generell Schwierigkeiten mit Verabredungen habe. Obwohl die Tage nicht immer voll sind, ist es doch schwer, das freiberufliche Dasein mit dem der Angestellten abzustimmen. Meine langen Einheiten fallen meist auf Samstag und / oder Sonntag. Unter der Woche abends auf ein gemeinsames Abendessen: schwierig, denn die zweite Einheit des Tages steht noch an. Untertags sind die meisten arbeiten und haben dementsprechend keine Zeit. Obendrein bin ich beinahe die Hälfte des Jahres unterwegs und bin ich dann mal da, genieße ich es, zurückgezogen durchzuatmen. Das Leben als Sportlerin kann tatsächlich sehr einsam und beschränkt sein, wenn man allein wohnt, allein trainiert und das Beste aus sich herausholen möchte. Für Kompromisse bleibt da nicht viel Platz. Es ist ein Balanceakt und ich muss zugeben, noch immer fühle ich mich oft weder gesehen noch verstanden und außerdem egoistisch, denn ich habe sehr viel mit mir selbst zu tun. Selbst nach nun mehr als sechs Jahren als Läuferin muss ich immer wieder erklären, warum ich denn nicht einfach ein Training ausfallen lassen kann. So eine Stunde laufen mehr oder weniger, was soll‘s? Ist doch nur joggen, oder? Das machen ja alle, bevor sie anschließend ins Büro fahren. ‚So zum Kopf freibekommen‘. Naja, denke ich mir. Ich muss mich dafür rechtfertigen, wenn ich meinen Alltag aus Training, Erholung, Physiotherapie und gesunder Ernährung als Arbeit verpacke und was das Schlimmste daran ist: ich muss es oftmals auch vor mir selbst.

„Obwohl die Tage nicht immer voll sind, ist es doch schwer, das freiberufliche Dasein mit dem der Angestellten abzustimmen.“

Ich bin für meine tägliche Routine weitestgehend selbst verantwortlich und lege mir meine Strukturen so aus, dass sie einen guten Trainingsalltag ermöglichen. Ich habe keinen Urlaub und ebenso wenig profitiere ich von Feiertagen. Training findet immer statt und vor allem während der Saison sind trainingsfreie Tage rar. Das meint aber nicht automatisch, dass ich rund um die Uhr beschäftigt bin. Eine Trainingssession dauert zwischen einer und auch mal sieben Stunden. Trainiere ich zweimal am Tag komme ich also auf zwei bis acht Stunden. Und dann? Dehnen, Ausrollen, Erholung, Ernährung, Mittagsschlaf – das sind alles auch Bereiche meines Jobs, aber man mag es glauben oder nicht: Mittagsschlaf als berufliche Tätigkeit zu bezeichnen, fällt mir tatsächlich schwer. Nicht nur das. Ich fühle mich beinahe nutzlos und hinterfrage in schwierigen Momenten mein gesamtes Lebenskonzept.

Erst vor wenigen Wochen sagte ich zu meiner besten Freundin, dass ich manchmal gerne einem Bürojob nachgehen wolle. Dann träume ich mich in eine Hollywood-gleiche Welt, trage darin ein Kostüm, meine Absätze auf dem Boden erklingen in einer einzigartigen Melodie aus Strenge und Professionalität. Meine Tage sind niemals kurz und mein Schreibtisch niemals leer. Kurz: es ist ein Traum aus und voller Getriebenheit, der meiner aktuellen Lebenssituation nicht wirklich nahekommt. Zumindest fühlt es sich nicht danach an und Kommentare der Art „hört sich gut an bei dir, so bisschen nach Lotterleben“ treffen einen wunden Punkt. Als ich nach dem Studium für einen Job nach München zog, schien alles genau nach Plan zu laufen. Bloß keine Freizeit nach dem Bachelor, nur mitten rein ins Erwachsenenleben, das Verantwortung und Unabhängigkeit verlangt. Am Ende lief alles ganz anders als geplant und doch sitze ich heute hier und kann von mir selbst behaupten, eine erfolgreiche Unternehmerin in ihren Anfängen zu sein.

„Es ist ein Traum voller Getriebenheit, der meiner aktuellen Lebenssituation nicht nahekommt.“

Ich bin stolz auf meinen Werdegang, das bin ich wirklich. Ich habe mir etwas aufgebaut, von dem ich leben kann und das in einer teuren Stadt wie München. Ich bin schon seit Jahren finanziell unabhängig und an guten Tagen sage ich vor allem mir selbst, dass ich nichts anders machen wollen würde. Aber da sind eben auch die Tage, an denen ich daheimsitze und mich frage, ob das jetzt tatsächlich erfüllend ist. Es ist ein immerwährender Kreislauf aus Existenzangst und Höhenflug und die ständige Frage an mich selbst: bin ich zufrieden? Reicht mir das? Wir leben in unsicheren Zeiten und was mir mein Job leider nicht mitgibt, ist Sicherheit. Dabei würde ich mir manchmal genau das so sehr wünschen. So ist die Freiheit in meiner beruflichen Gestaltung Fluch und Segen zugleich und schafft eine unliebsame zusätzliche Unsicherheit in Zeiten der Inflation und der immer teurer werdenden Lebenserhaltungskosten. Ich würde mich zu gerne ab und zu in den Schoß eines Unternehmens begeben, mich dort einnisten und alles an Verantwortung abgeben. Ich würde mit Freude erleben, dass man meinen Job direkt als solchen anerkennt und meinen Alltag nicht als Lotterleben bezeichnet und vor allem würde ich mir wünschen, dass ich selbst immerzu den Sinn hinter alldem sehe. Ganz klar und ohne Zweifel.

Vor wenigen Tagen bin ich 30 Jahre alt geworden und habe das Gefühl, mit mir selbst weitestgehend im reinen zu sein. Ich mag die Kimi von heute so viel lieber als die Kimi von damals. Natürlich habe ich immer wieder Zweifel und ich gelange immer wieder mit mir in eine kleine Identitätskrise. Ich denke, das ist normal, zumal heutzutage alle beschäftigt, erfolgreich und wichtig sind. Ich weiß, dass ich nicht immer laufen werde und mein Alltag über kurz oder lang anders aussehen wird. Das ist auch gut so. Vielleicht ja dann mehr Büro und weniger Social-Media Feed. Ich stelle zum Ende dieses Artikels fest, dass ich diese Höhen und Tiefen in meinem Lebenskonstrukt brauche und schätze. Seien es die emotionalen, die wahrhaftigen in den Bergen, die psychischen in der Auseinandersetzung mit mir selbst oder die physischen in der Balance aus Grundlagenaufbau, Wettkampfvorbereitung und Erholung. Das Leben als Läuferin ist sehr spannend und wahnsinnig einzigartig und ich denke, ich habe gerade ganz unabsichtlich eine passende Bezeichnung für mein Dasein gefunden. Ich bin Läuferin, mit Haut und Haar.