14 Jul Einfach schwierig
Ich hatte einen Aha-Moment der vieles verändert hat. Es fühlt sich an, als wäre ein Schalter umgelegt worden. Ich muss mich so euphorisch ausdrücken, denn genauso fühle ich mich. Obwohl ich schon lange verstanden habe, dass etwas nicht stimmte, hatte ich es bisher nie geschafft, aus meinen selbst auferlegten Strukturen auszubrechen. Aus den Überbleibseln meiner damaligen Essstörung. Heute, nur ein paar Wochen später, ist vieles anders. Plötzlich ist es klar, und ich fühle mich leicht – als wäre mir ein Stein vom Herzen gefallen. Ich habe erkannt, dass mein Magendarmtrakt besser funktioniert und mein Bauch weniger gebläht ist, wenn ich mich ausgewogen, ausreichend und gesund ernähre und mir bewusst Zeit für Genuss und die Nahrungsaufnahme nehme. Mangelerscheinungen und Unwohlsein bleiben aus. Es klingt so einleuchtend, so einfach, beinahe banal – und doch ist es genau so: ich fühle mich befreit. Diese späte Akzeptanz erweist sich als Game-Changer, vor allem mental. Aber von vorne.
Die alte Leier
Wir alle wissen, die richtige Ernährung ist leistungsentscheidend und individuell. Natürlich ist Ernährung viel mehr als nur Mittel zum Zweck. Essen heißt Leben. Es bringt Menschen zusammen, es ist Kultur, Zusammengehörigkeit, Genuss, Neugierde und Freude. Hier und jetzt soll es aber vor allem um Sporternährung gehen, also eine spezifische Ernährungsweise, die darauf abzielt, die sportliche Leistung zu verbessern und die körperliche Erholung nach dem Training zu optimieren. Die wichtigsten Komponenten der Sporternährung sind Kohlenhydrate, Proteine, Fette, Vitamine, Mineralstoffe und Flüssigkeit. Die richtige Balance aus all diesen Bestandteilen zu finden ist nicht einfach und vor allem sind die jeweiligen Bedürfnisse zwischen Sportlerinnen und Sportlern unterschiedlich. Jeder Körper ist einzigartig, und ebenso verhält es sich mit der Energie, die man aufnehmen muss, um Leistung abrufen zu können.
Obwohl ich mich gut ernähre, sind meine Essgewohnheiten ungesund
So viel zur Theorie. Die richtige Ernährung kann die Energie, Ausdauer und Kraft während eines Trainings oder Wettkampfs nicht nur verbessern, sie kann leistungsentscheidend sein. Zudem hilft eine gezielte Ernährung bei schneller Regeneration, sie repariert Muskelgewebe und füllt die Glykogenspeicher auf. Nicht zuletzt unterstützt sie die allgemeine Gesundheit und das Wohlbefinden. Voraussetzung für 100% Leistungsfähigkeit.
Ein jahrelanges Hin und Her
Nach außen ernähre ich mich gut und gesund und bin selbst meist davon überzeugt. Ich kaufe frische Lebensmittel ein und koche oft selbst. Seit fünf Jahren esse ich vegetarisch, trinke kaum Alkohol und habe jahrelange Erfahrung mit Verzicht. Ein Blick in meine Vorratsschränke würde jede Ernährungsberatung zufriedenstellen und trotzdem habe ich bis heute Schwierigkeiten, wenn es um eine ausgewogene Ernährung geht, denn obwohl ich mich gut ernähre, sind meine Essgewohnheiten ungesund. Ich snacke gerne und viel. Unaufhörliches essen von Kleinigkeiten zwischendurch, kann verschiedene Ursachen haben. Wenn der Körper nicht ausreichend mit Nährstoffen oder Kalorien versorgt wird, verlangt er im Stundentakt nach Nahrung. Das kommt mir sehr bekannt vor. Außerdem kann regelmäßiges Snacken zur Gewohnheit werden und Kopf wie Körper kennen diese Struktur und halten gerne daran fest. Ich bin eine ungemütliche Esserin, bereite meine Mahlzeiten oft im Stehen vor und esse, während ich aufräume. Achtsame Nahrungsaufnahme wird dadurch schwierig, auf das Sättigungsgefühl zu hören schier unmöglich.
Außerdem hat essen auch emotionale Gründe. Es hilft mir dabei, mich vor unangenehmen Gefühlen abzulenken oder aber auch, mich zu belohnen. Der Gedanke „ich verzichte doch sowieso schon auf so vieles und bin diszipliniert“ ist wie das Teufelchen auf meiner Schulter, das mir die abendlichen Snacks vor dem zu Bett gehen gut redet und mir sagt, ich dürfe auch einfach mal loslassen.
Kontrollverhalten im Essen
Loslassen, ein gutes Stichwort. Denn im Grunde genommen passiert genau das Gegenteil. Seit Jahren werden meine Essgewohnheiten von Kontrolle überschattet. Schon lange nicht mehr in einem krankhaften oder besonders einschränkenden Verhalten, aber doch so, dass es seine Spuren hinterlässt, Tag für Tag. Beispielsweise in Form von Magenproblemen, Blähungen, oder Unwohlsein. Vor allem aber auch mit der Frage, warum ich mich trotz vermeintlich gesunder Ernährung nicht gut fühle, warum der Magen immer wieder Alarm schlägt, egal, ob im Training oder im Wettkampf. Warum mein Bauch mit oftmals stundenlang wachgehalten hat, weil ich vor Krämpfen kein Auge zubekam. Warum es mir immer deutlich besser ging, sobald ich in einer Gruppe aß und somit ausgewogene Mahlzeiten auf dem Tisch standen. Es erscheint paradox, aber bei der Wettkampfverpflegung stresst mich nichts so sehr, wie die kontrollierte und abgezählte Einnahme von Verpflegung. Im Alltag beherrsche ich das seit Jahren. Oder eben nicht, wie die Snackerei zeigt.
Kontrollverhalten beim Essen ist das zwanghafte Bemühen, die Nahrungsaufnahme und Ernährungsgewohnheiten streng zu regulieren. Natürlich resultiert ein solches Verhalten auch aus dem Wunsch, Gewicht zu verlieren und einem vermeintlichen Schönheitsideal zu entsprechen. Der Job als Leistungssportlerin unterstützt dieses Verhalten natürlich, denn nirgends herrscht mehr Disziplin als in unserer Branche. Wie soll sie also funktionieren, die Balance aus Disziplin und Genuss?
Es machte einfach Klick
Wie ich anfangs sagte, es fühlte sich an, wie ein Aha-Moment. Nach zwei mühsamen Wettkämpfen, deren Ergebnisse beide durch einen schlechten Magen abgeschwächt worden waren, wollte ich eine Veränderung. Nicht nur für den sportlichen Erfolg, sondern vor allem für mich und mein Lebensgefühl. Ein geblähter Bauch über Jahre hinweg kann Kräfte zehrend sein. Vor allem, wenn man doch irgendwie das Gefühl hat, alles richtig zu machen. Ich möchte nicht sagen, dass sich von 0 auf 100 alles verändert hat und ich keine Fehler mehr mache, wenn es um Ernährungsverhalten geht. Meine Prägung schlummert noch immer in mir, aber im Moment kann ich die Snacks bei Seite lassen und auf eine ausgewogene Verpflegung über den Tag hinweg stolz sein: morgens, mittags, abends – ordentlich, ohne Verzicht, und vor allem ohne Extreme.